Leseprobe Moonstar

Den hier vorgestellten Text habe ich im Sommer 2009 unter der Sonne Floridas geschrieben. Ok, zugegeben, weniger unter der Sonne als in einem klimaanlagengekühlten Büro. Es handelt sich um eine Hintergrund-Story für einen Charakter im Pen-and Paper-Rollenspiel Shadowrun. Ein guter Freund hat mir damals seine grobe Vorstellung skizziert und mich damit unbeabsichtigt inspiriert. Ich gebe nun aber noch einen kurzen Hintergrund zu der Hintergrund-Story, für all diejenigen, die mit Shadowrun nichts anfangen können.

Shadowrun ist ein Pen-and-Paper-Rollenspiel, das heißt: Eine Gruppe rollenspielbegeisterter Menschen setzt sich zusammen. In echt! RL! Nicht vor dem Computer! Vereinzelt kommt es zu Pizzaexzessen... Unter der Leitung eines Spielleiters begeben sie sich in ein Abenteuer, lösen kniffelige Aufgaben, bekämpfen die Bösen und streichen im Idealfall Erfahrungspunkte ein. Je nach Spiel, Regelwerk und Situation. Die Rollen, in die die Spieler dabei schlüpfen, sind durch Charakterbögen festgelegt, sie halten die wesentlichen körperlichen Merkmale, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Besitztümer etc. fest. Und sind natürlich auch ständig im Wandel, daher Pen-and-Paper ;-). Gerne werden Würfel verwendet, um den Erfolg eines Vorhabens zu bestimmen.

Shadowrun spielt in den 2070ern. Naturkatastrophen, Epidemien und Kriege haben die Erde gezeichnet. Der technologische Fortschritt ist deutlich zu spüren, aber auch politische Veränderungen. So befinden sich nahezu alle Instituionen, bis hin zu ganzen Staaten in den Händen der sogenannten Megacons, der extrem mächtigen Konzerne. Das Leben hat sich zunehmend die Großstädte verlagert, dort gibt es dann den umsorgten Konzernangestellten oder den armen Schlucker - und nicht viel dazwischen.
Nach dem Maya-Kalender kehrt 2011 die Magie in die Welt zurück (die Welt geht nicht unter!), die Sechste Welt beginnt. Es tauchen magiebegabte Menschen und Metamenschen (Orks, Trolle, Elfen und Zwerge), Tiere und "Fabelwesen" wie z.B. Drachen auf.
Der Shadowrunner selbst ist für gewöhnlich ein Mensch oder Metamensch am Rande der Gesellschaft, offiziell nicht-existent. Er hat daher keine Möglichkeit, legal eine Arbeit anzunehmen. Aber er wird gerne von Konzernen für Drecksarbeit angeheuert, von Datendiebstahl über Entführungen bis hin zum Auftragsmord.
Beliebter Handlungsort für Rollenspiele wie auch für Bücher ist der Metroplex Seattle. Ausgangspunkt sind hier oft die Redmond Barrens, man könnte auch sagen die Slums.

Ergänzungen und Anmerkungen zu dieser Kurzzusammenfassung sind willkommen. Weitere Informationen könnt ihr auf http://www.shadowhelix.de/ finden.

So, jetzt geht es endlich los!




Wer ich bin? Ach, lass mich doch in Ruhe, ich hab genug mitgemacht...

Na gut, vielleicht solltest du wissen, was mich in die Schatten verschlagen hat.

Ich war mal ein ganz normaler Lohnsklave und dachte, gut, das Leben ist nicht schön, aber wenn ich mich anstrenge, wird es irgendwann besser laufen. Bis zu diesem einen Tag dachte ich, es ist halt eine schwere Zeit.

Ich war zum Chef gerufen worden. Nach einer langen Zeit harter Arbeit hatte ich Hoffnung: Es konnte sich nur um eine Beförderung handeln. Ich ging also zu seinem Büro. Als ich gerade anklopfen wollte, öffnete sich die Tür. Vor mir stand ein Mann, der so gut in ein Bürogebäude passte wie ein ausgewachsener Elefant. Er sah auf den ersten Blick nicht weiter ungewöhnlich aus. Schwarzer Anzug, Krawatte, gepflegtes Äußeres. Doch sein Blick ließ mir den Arsch auf Grundeis gehen. Irgendetwas an seinen Augen war unheimlich.

Er nickte kurz und ging Richtung Aufzug, ich starrte hinter dem Typen her. Wenn ich da schon gewusst hätte... Ich ging jedenfalls zum Chef rein, grüßte ihn höflich und wurde gebeten, mich zu setzen.

"Dean, Sie wissen, dass Sie im letzten Monat sehr gute Ergebnisse erzielt haben."

Naiv, wie ich war, dachte ich, das muss es sein, das ist meine Beförderung.

"Deshalb habe ich Sie für einen Posten in Vancouver vorgeschlagen. Qualitätsmanagement. Eine sehr verantwortungsvolle Position."

Schweigen. Ich konnte nichts sagen.

"Sie können schon nächste Woche anfangen. Ist das nicht eine großartige Möglichkeit für Sie?"

An den Rest des Gesprächs erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich brav genickt und mich gefügt habe.

Den Rest des Tags nahm ich mir frei. Ich war deprimiert genug. Aber nach Hause wollte ich nicht. Wie hätte ich meiner Frau erzählen können, dass ich versetzt werde? Dass es zu der erhofften Beförderung nicht kommen wird?

Also zog es mich in meine Stammkneipe, das Lazy Ivy. Dort ließ ich mich erst einmal volllaufen. So weit, so gut.

Als ich gegen Mitternacht nach meinem Auto suchte, fand ich nur einen leeren Parkplatz. Aber ich blieb ruhig. Dachte noch, das kann nicht sein, nicht heute, aber da war ich schließlich noch ruhig und brav... Also versuchte ich, mir einzureden, ich hätte sowieso zu viel getrunken, und rief ein Taxi. Der Fahrer war ein ziemlich heruntergekommener Ork, aber das war besser, als zu laufen. Natürlich ließ er sich auch nicht beirren und fuhr einen riesigen Umweg... Irgendwann wusste ich selbst nicht mehr, wo ich war, von schlechten Vierteln wie diesem hielt ich mich fern. Inzwischen kenne ich mich in den Barrens natürlich aus... Doch damals wollte ich nur weg. Plötzlich hielt der Fahrer in einer schmalen Gasse und meinte nur: "Ich muss mal kurz was erledigen." Schon war er in einem der Gebäude (oder soll ich sagen Bruchbuden) verschwunden. Also verriegelte ich die Türen und wartete. Um mich herum dröhnte laute Musik, es schien als wäre am Ende der Gasse eine Bar. Nach 10 Minuten war das Arschloch noch immer nicht zurück. Langsam wurde ich unruhig.

Aus der Bar kamen drei Gestalten, durch die Beleuchtung der Bar konnte ich nichts Näheres erkennen. Ich duckte mich vorsichtshalber. Einer der drei stellte sich als Ork-Schlägertyp heraus, der einen Menschen hinter sich her schleifte. Der dritte trug einen schwarzen, langen Mantel. Er bedrohte den Menschen mit einer MP.

"Du weißt ganz genau, wovon ich rede! Also stell dich nicht blöd und gib mir den Chip!" Der Ork presste den Menschen gegen die Wand, direkt unter einer Laterne. Ich unterdrückte einen Schrei. Das war mein Kollege Marc, der da gequält wurde! Erst diesen Morgen hatte ich mit ihm gesprochen. Ich drückte mich umso tiefer in den Sitz. Auf einen Schlag war ich nüchtern. Was passierte hier?

Der Mantel-Typ hielt die MP an Marcs Schläfe. Der fing an, an seiner Jackentasche herumzufummeln. Der Ork schlug ihm auf die Hand und machte sich selbst auf die Suche. Tatsächlich fand er in Marcs Tasche einen Chip. Stolz hielt er ihn dem Mantel-Typ hin und ließ Marc fallen. Mantel-Typ senkte die MP und schoss Marc in den Kopf. Ich konnte nichts mehr denken, sah nur noch zu und fühlte eine unendliche Leere. Ork und Mantel-Typ drehten sich um. Mantel-Typ verstaute seine MP im Mantel (wo sonst?) und beide gingen ohne ein Wort die Gasse hinunter. Sie kamen ganz dicht am Taxi vorbei. Im Vorbeigehen drehte Mantel-Typ plötzlich den Kopf, sah mir in die Augen, grinste und blinzelte mir zu. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Das war der Mann mit dem irren Blick! Der, mit dem mein Chef heute Mittag geredet hatte! In diesem Moment fiel alles, woran ich geglaubt hatte, wie ein Kartenhaus zusammen.

Was sollte ich nun tun? So tun, als hätte ich nichts gesehen? Nein, auf gar keinen Fall! Diese Arschlöcher... Ich war wie gelähmt vor Wut und Enttäuschung.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort im Taxi saß, es kam mir auch nicht in den Sinn, auf die Uhr des Comlinks zu schauen. Da ich noch immer alleine war (zum Glück) setzte ich mich ans Steuer und fuhr. Hauptsache erstmal weg von hier. Auf der Fahrt überlegte ich, wo ich eigentlich hin wollte. Ich konnte nicht nach Hause fahren und weiterleben, als wäre nichts geschehen. Diese Ungerechtigkeit, diese Brutalität… Das konnte ich nicht vergessen. Und wer weiß, vielleicht wäre bald mein Kollege Derek dran gewesen. Oder Jeff. Oder ich… Wer sagt, dass es in Vancouver anders ist? Wer sagt, dass es irgendwo anders ist? Wohin sollte ich mich also wenden?

Ich kam zu dem Schluss, dass es das Beste ist, alles hinter mir zu lassen und neu zu beginnen. Scheiß auf den Job, der mich so oder so nicht weiter bringt. Diese Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut, auch wenn ich meine Frau vermisse. Es tut mir leid, sie im Stich gelassen zu haben.  Aber in die Geschäfte, die ich jetzt mache, kann ich sie nicht reinziehen.

Schließlich bin ich erst an einem großen, verlassen aussehenden Lagerhaus angehalten. Natürlich war ich nicht der Einzige, der hier Unterschlupf gesucht hat. Wenigstens hatte ich immer noch Geld und meine gute Uhr bei mir, sonst hätten schon die ersten Tage tödlich enden können. So habe ich schnell gelernt, wie rau die Sitten in den Schatten sind…